Zentrales Merkmal der Borderline-Störung ist Instabilität. Wenn es den Betroffenen gut geht, fühlen sie sich gesund, spontan und leidenschaftlich und sie sind oft sehr begeisterungsfähig, doch plötzlich kippt die Stimmung. Innert Minuten kann aus grosser Freude tiefste Verzweiflung und aus Liebe grenzenlose Wut werden. Betroffene erleben Gefühle unmittelbarer und intensiver als andere Menschen. Sie empfinden eine chronische innere Leere und finden sich selbst nicht liebenswert. Alleinsein ist für sie unerträglich. Wenn innere Spannungszustände oder Leeregefühle unerträglich werden, verletzen sich 70% der Betroffenen selbst, zum Beispiel mit Messer oder Rasierklingen.
So wie die Gefühle der Borderline-Betroffenen instabil sind, sind es auch Liebesbeziehungen und die Arbeit. Vielen fällt es leicht, immer wieder eine neue Stelle zu finden. Häufig brechen sie dann aber eine Anstellung frühzeitig ab. Persönliche Beziehung mit Borderline-Betroffenen sind intensiv, aber ein ständiges emotionales Auf und Ab. Kleine Auseinandersetzungen können zu grossen Wutausbrüchen führen. Aber die meisten Borderline-Betroffenen haben einen enormen Lebenswillen. Trotz zahlreicher Misserfolge versuchen sie immer wieder, neu Fuss zu fassen.
Die Ursachen der Borderline-Störung werden im Moment in einer Wechselwirkung von Veranlagung mit stark traumatisierenden Erfahrungen in der Kindheit und Jugend gesehen. Martin Bohus, ein Borderline-Experte in Mannheim: «Viele Borderline-Patienten haben in der Kindheit sexuellen Missbrauch oder körperliche Gewalt erlebt». In der Tat berichten 70% der Betroffenen von schweren Traumata in Kindheit und Jugend. Nach Peter Fiedler (1997, S. 233) «gingen Missbrauchserfahrungen zumeist mit weiteren Defiziten in der elterlichen Erziehung einher: emotionale Vernachlässigungen, gefühlsmässige Ablehnung und Zurückweisungen und weitere auffällige Beziehungsstörungen und Konflikte zwischen den Eltern. Im Vergleich zu den Kontrollgruppen lagen die verbalen, physischen und sexuellen Missbrauchserfahrungen bei Borderline-Patienten bereits in der frühen Kindheit, im Unterschied etwa zu Patienten mit depressiven, dysthymen oder auch antisozialen Persönlichkeitsstörungen, bei denen Missbrauchserfahrungen vor allem in der späteren Kindheit und Jugend häufiger auftraten.»
Welche Therapie ist geeignet?
Borderline-Betroffene sollten sich nicht mit Psychopharmaka-Therapie zufrieden geben. Als State of the art gilt die Verschreibung eines Antidepresivums wie Zoloft, eines Mood-Stabilasors wie Topamax und eines Neuroleptikums wie Zyprexa gegen dissoziative Zustände.
Borderline-Betroffene brauchen eine spezifische Therapie. Weltweit führend ist aktuell die Dialektische Borderline-Therapie nach Marsha Linehan (DBT), wie sie Martin Bohus in Deutschland lehrt. In der DBT lernen Betroffene in mehreren Modulen, ihre Gefühle und ihr Leben stabiler zu machen. Sie lernen zum Beispiel, ihre starke unerträgliche Anspannung oder innere Leere zu überwinden, ohne sich dabei selbst zu verletzen. Die DBT beruht auf grosser Expertenerfahrung und hat ein differenziertes Repertoire entwickelt, mit dem Stabilität gelernt werden kann. Nur etwas fehlt in der DBT: die zurückliegenden Traumata werden nicht behandelt.
Die Forschungen im Bereich der Psychotraumatologie und der Neurobiologie führen mehr und mehr zur Ansicht, dass die Borderline-Störung eine komplexe Trauma-Folgestörung mit dissoziativen Symptomen ist. Das Kippen in unangemessene grosse Wut, die innere Leere und das Sich-nicht-mehr-Spüren oder sich-Auflösen werden als dissoziative Zustände erkannt. Diese Erkenntnisse werden Auswirkungen auf die Borderline-Therapie haben: Die Lernschritte, wie sie in der DBT vermittelt werden, können verbunden werden mit einer spezifisch zugepassten Traumatherapie.