Psychologische Praxis
Dr. phil. Andreas Leuenberger

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Leitlinien Integrativer Paartherapie

Prolog:

Das Paar A kommt versteinert und unzufrieden in die Sitzung. Er ist der ruhige und tendenziell introvertierte Persönlichkeitstyp, sie der sprunghafte und leidenschaftliche. Nach einer Anlaufszeit sprudelt es aus ihr hervor: sie bekomme einfach zu wenig Sex in der Beziehung, möchte auch mal verführt werden von ihm und Spiele einflechten. Er sei passiv und nicht leidenschaftlich. Er antwortet darauf, er empfinde eine Blockierung seiner Sexualität, aber er bevorzuge nun einmal die feine Art im Sex, er sei kein Macho. Beide entschliessen sich, an diesem Thema zu arbeiten und die beiderseitigen Anteile einzubeziehen. Er möchte heute bei sich beginnen.
Ich schlage ihm vor, die Augen zu schliessen: „Stellen Sie sich vor, Sie sind fertig mit Arbeiten, können nun nach Hause gehen, die Kinder sind noch nicht da, und jetzt spüren Sie Lust auf ihre Frau. Zuhause werden Sie ihr vielleicht die Kleider vom Leib reissen, und sie aufs Bett schmeissen wie sie es so liebt (sie lacht).“ Er fühlt sich verkrampft, hat Angst, leiblich nimmt er eine Zuschnürung im Hals und einen Druck auf der Brust wahr, den Genitalbereich kann er nicht spüren, er empfinde ihn wie nicht existent. Er könne sich nicht öffnen für eine solche Vorstellung.
Ausgehend von der Achtsamkeit auf dieses leibliche Erleben und das Atmen führe ich ihn in seiner Lebensgeschichte zurück (Petzold 1999i). Er erlebt sich dann als kleiner Knabe und sieht eine Szene vor dem inneren Auge, in der er mit 4 Jahren in der Badewanne sitzt. Die Mutter schrubbt in grober Weise seinen Penis, um auf ärztlichen Rat hin die Phimose zu erweitern. Weitere Bilder der Mutter tauchen auf, in denen er sie als hart, repressiv und lieblos erlebt. Ihre Botschaft fasst er in den Worten zusammen: „Das Sexuelle ist unsauber, das darfst Du nicht tun, erst recht nicht geniessen. Du sollst kein erwachsener Mann werden mit diesen Trieben.“ Die einengenden Körperempfindungen erlebt er noch stärker, das Atmen fällt ihm schwer, Angst und Wut ringen in ihm. Nun bitte ich seine Frau, sich zu ihm zu setzen, mit ihren Händen den Druck auf Brust und Hals, den er empfindet, dosiert zu betonen und die Worte der Mutter zu wiederholen. Eine mögliche Übertragung soll explizit werden, um sich verändern zu können. Sie beginnt und bricht bei den ersten strengen Worten in schallendes befreiendes Gelächter aus, das ihn ansteckt, so dass es beide schüttelt vor Lachen. Er öffnet dabei die Augen und schaut sie an. Ich lobe beide für ihr Lachen. „Wie erleben Sie ihre Frau jetzt? Ist sie so wie Ihre Mutter?“ Nun erfasst er erleichtert einen Unterschied. Dann stellt er sich Hand in Hand mit seiner Frau der Mutter gegenüber, die imaginär mit einem leeren Stuhl herbeigeholt wird und teilt ihr seine Erfahrung und sein Ziel mit.

Füreinander zur Ressource werden

„Was war Ihnen heute wichtig, wertvoll?“, frage ich oft am Schluss einer Sitzung. „Ich bin heute in meiner Blockade ein Stück vorangekommen und bin froh, dass Du mit dabei warst“, sagt der Mann aus Paar A. zu seiner Frau, und sie: „Ich habe Dich heute besser verstehen gelernt. Das tut mir gut. Ich spüre meine Liebe zu Dir wieder stärker. Und ich habe jetzt Geduld in unserem Problem.“

Wie arbeitet die Integrative Therapie mit Paaren?

Die Integrative Therapie folgt dem Paradigma der Methodenintegration (Glass et al. 1993, Norcross & Goldfried 1992, Lazarus 1995, Sponsel 1995) in einem Menschen-bild der Intersubjektivität, aufbauend auf zwischenmenschlicher Bezogenheit als Grundbedürfnis und Leiblichkeit als Wesensmerkmal des Menschen (Petzold 2002j, 2003a). Unsere Persönlichkeit entwickelt sich lebenslang in Kontakt, Begegnung, Beziehung und Bindung zu Andern, in Ko-respondenz, im ko-respondierenden Mit-einander. Was die Integrative Therapie tut, ist eingebettet in eine differenzierte ethische Orientierung: ein Engagement für Hominität und Humanität bringt Grundqualitäten des Menschlichen in die Therapiebeziehung und als Ziele in die Therapie: Wertschätzung, Empathie, Bestätigung und Förderung von Integrität und persönlicher Souveränität, Würde, Echtheit und Partnerschaftlichkeit (Gröbelbauer et al. 1999). Zugleich öffnet die ethische Orientierung den Blick für Sinnstiftung und Sinnerfahrung als Thema der Therapie (Petzold 2000k, Petzold & Orth 2004) und für Risiken der Therapie (Märtens & Petzold 2002).

Die Perspektiven und Wirkfaktoren Kognitiver Verhaltenstherapie, von Systemtherapie und humanistischer Therapie lehren uns, Probleme mit uns selbst und mit Andern in unserem Umfeld direkt anzugehen. Dysfunktionale Einstellungen, Erwartungen und Beziehungsmuster (Schemata, Strukturen oder Narrative) können erkannt und durch Übung verändert werden. In diesem gegenwartszentrierten Vorgehen bieten sich Selbstsicherheits-, Kommunikations- und Konfliktfähigkeitstrainings an. Wir lernen uns einzufühlen, aktiv zuzuhören, unsere Bedürfnisse zu artikulieren, Konsens zu finden und erhalten ein Handwerkszeug, um Probleme lösungs-, bewältigungs- (Grawe 2000) und performanzorientiert anzugehen (Sieper & Petzold 2002, Petzold et al. 2004). Wir lernen jedoch uns selbst und den geliebten Menschen an unserer Seite in seinem lebensgeschichtlichen Gewordensein, in alten Dramen, die wir nachspielen und Mustern, die uns festhalten, erst verstehen, wenn über den Fokus auf die Gegenwart hinaus die psychodynamische Perspektive hinzukommt und den Blick öffnet für das Nachwirken früherer Erfahrungen in uns und in unserer Partnerschaft (Petzold 2001a).

Therapie, ganz besonders Paartherapie braucht über diesen umfassenden Blick auf die Probleme hinaus wie Pflanzen das Sonnenlicht das Erleben und Fördern der Ressourcen und protektiven Faktoren (Petzold et al. 1993, Sulz 2000), die Ressourcenorientierung (Schemmel & Schaller 2003, Petzold 1997a) mit dem zentralen Kon-zept der Salutogenese (Antonovsky 1979, 1997, Lorenz 2004). Studien zeigen die Liebe als die stärkste gemeinsame Ressource für den Zusammenhalt eines Paares (Hahn & Burkart 1998, Riehl-Emde 2003, Willi 1991, 2002). Sie ist jedoch ein ver-nachlässigter Aspekt der Paartherapie. Jürg Willi initiierte in Zürich 2004 den ersten Kongress zum Thema „Paartherapie im Fokus der Liebe“. Der Begriff der Liebe findet sich selten in der Fachliteratur und in Ausbildungscurricula, offenbar weil er verglichen mit „Wertschätzung“ und „Respekt“ schwer operationalisierbar ist.

Paartherapie verändert sich, wenn Arbeit an den Problemen und Ressourcen und Achtsamkeit auf die Liebe zwischen den Partnern gleichzeitig im Mittelpunkt stehen. Integrative Paartherapie sucht, prüft und nutzt Strategien einer auf die Ressource der Liebe fokussierten Therapie.